▓▓▒░░Fotos░░▒▓▓

Profilbild
Pauline
Pauline:

Subkulturen als fester Bestandteil der Jugend entfalteten sich in der Nachwendezeit oftmals aus einem Bedürfnis nach Abgrenzung zum Mainstream — der „Popkultur“— und gleichsam nach Zugehörigkeit zu Gleichgesinnten in turbulenten Jahren.

Wie stark sich die einzelnen Subkulturen voneinander abgrenzten ist nicht ganz eindeutig, unter anderem weil sich einige Subkulturen aus derselben Szene entwickelt hatten. So zum Beispiel die Punks und Skinheads, die in vielen Fällen auch in den Neunzigern noch ähnliche Musik hörten und sich ähnlich kleideten.

Punks auf einer Straße in Rostock
© Deutsche Fotothek / Tank, Michael

Besonders Mode wurde dazu genutzt, Zugehörigkeit zu einer Szene auszudrücken. Während die Popkultur der Neunzigerjahre von bunten Farben, weiten Schlaghosen, Pailletten und Technomusik geprägt war, kleideten sich Skater und Hip-Hopper in sehr weiten T-Shirts und Jeans, auch „Baggy“ genannt.

Springerstiefel waren besonders beliebt bei Punk- und Skingruppen, oftmals gezielt mit farbigen Schnürsenkeln versehen, um politische Ansichten zu repräsentieren.

Nach der Wiedervereinigung und Eingliederung der ehemaligen DDR in die Marktwirtschaft der Bundesrepublik, verstärkte sich das Markenbewusstsein vieler Jugendlicher in ostdeutschen Bundesländern. Aus dem Westen stammende Labels wie Adidas, New Yorker oder Fishbone erlangten Prestige, auch aufgrund der Preise ihrer Produkte.

Ausschnitt aus BRAVO-Zeitung 1994, Jugendkultur-Überblick mit Stylingtipps
© Bravo / Verlag Heinrich Bauer

Szenenzugehörige charakterisierten sich nicht nur durch Musik und Kleidung. Sie wählten auch bestimmte Orte, um sich zu treffen und miteinander Zeit zu verbringen. Für viele junge Menschen in Leipzig waren das beispielsweise Veranstaltungszentren wie die Gieszer 16 oder der Stadtteil Connewitz mit seiner Stockartstraße „Stö“, dem Atelierhaus Zoro e.V und dem Conne Island.

Auch die Wiese zwischen der Thomaskirche und dem Alten Marktplatz, heutzutage dem Hugendubel gegenüber, stellte für etliche Jugendliche einen Treff- und Aufenthaltsort dar. An diesen Orten kam es durchaus zu Aufeinandertreffen verschiedener Subkulturen, die sich daraufhin in Freundesgruppen häufig mischten.

Collage: Conne Island zu Konzert der Band Biohazard (1994), Flyer des Atelierhaus Zoro e.V und Ausschnitt aus LVZ-Rubrik „Meine Lieblingsplätze in Leipzig…“
© Conne Island

Bei beliebten Orten handelte es sich zudem oft um Clubs, Diskotheken — Veranstaltungsorte, die teilweise nicht, oder erst seit kurzem, legal waren.

Dort, und auch bei den Jugendlichen daheim, fanden viele Konzerte und Partys statt. Nicht selten in Kombination mit dem Konsum von Alkohol, Drogen und sonstigen Genussmitteln.

Collage aus Bildern von Konzerten im Conne Island: Musik, ausgelassen tanzen — zahlreiche verbinden diese Momente mit einem besonderen Gefühl von Spaß und Freiheit.
© Conne Island

Profilbild
Pauline
Pauline:

Die meisten Kinder und Jugendlichen der Neunziger hatten bloß die letzten Jahre der Mauer erlebt. Für manche war sie somit kaum präsent und auch nach der Wiedervereinigung vorwiegend ein Zaun im nun „vergrößerten“ Deutschland.

Für manch andere war sie jedoch, wie für so viele DDR-Bürger, die Grenze zu einer gänzlichen anderen Lebensrealität. Das vor allem, wenn es den Kindern möglich war, durch Familie, Fernsehen, oder sogar tatsächlich, die Grenze zu passieren und einen tieferen Einblick in „den Westen“ zu erlangen.

Jugendliche klettern auf Berliner Mauer (1990)
© ELAB, Archiv der Versöhnungsgemeinde

Obwohl politischer Widerstand und Engagement — ja, die Forderung nach Mitbestimmung des Volks — nur wenige Jahre zuvor das Ende der deutschen Teilung bewirkt hatten, hatte gewiss nicht die gesamte Bevölkerung die Kraft, sich aktiv am Diskurs zu beteiligen; Viele trugen die Frustration und Politikmüdigkeit aus DDR-Zeiten in die Neunzigerjahre.

Und ebensoviele Jugendliche teilten diese Ansicht und distanzierten sich sowohl von links- als auch rechtsextremen Positionen, von Politik im allgemeinen

Mauermalerei in Ostberlin 1991
© Deutsche Fotothek / Möller, Dieter

Ein starker Grund für die Unzufriedenheit der Neunzigerjahre war die Arbeitslosigkeit, die als Resultat der treuhändischen Betriebsauflösungen, -übernahmen und einhergehenden Massenentlassungen steil anstieg.

Geschätzt jede*r zweite Arbeiter*in verlor dabei die Beschäftigung und musste sich beim Arbeitsamt anmelden, dort Leistungen beziehen oder sich sogar beruflich neuorientieren.

Die daraus entstehende Frustration und Zukunftsangst erlebten auch die Kinder und jungen Erwachsenen dieser Zeit, die teilweise nach der Schule selbst direkt in die Arbeitslosigkeit kamen.

Schlange vor Arbeitsamt Leipzig 1997
© Alamy

Aus der Frustration über die vielen Unstimmigkeiten der Nachwendezeit, radikalisierten sich viele Jugendliche und wandten sich politisch der rechtsextremen Neonazi-Szene zu, verurteilten Geflüchtete und deren Nachkommen, queere Menschen und auch alternative Subkulturen — schlichtweg alles, was aus ihrer Sicht nicht „deutsch und rechts“ war.

Oftmals wurden die, meist männlichen, Teenager gezielt von älteren Neonazis von ihrer Ideologie überzeugt und rekrutiert, beispielsweise für Organisationen wie die Jungen Nationalen.

Collage: Rechtsextreme der NPD und Jungen Nationalen auf Montagsdemo 1990; Ausschnitte aus Magazinen des Conne Island.
© Conne Island
© Deutsche Fotothek / Langer, Martin

Die Jahre nach 1990 entwickelten sich somit zu den sogenannten Baseballschlägerjahren, einer Zeit geprägt von gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Rechtsextremen und ihnen Gegengesinnten.

Straßenschlägereien und auch organisierte Terroranschläge und Pogrome, wie etwa in Magdeburg (1994) und Hoyerswerda (1991), sind demnach für viele, die sie erlebt haben, ein prägendes Element der 1990er — denn beinahe jeder Zeitzeugin dieser Jahre können aus erster Hand oder aus direktem Umfeld von solchen Ereignissen berichten.

Collage aus Fotoreihe über Anschlag auf Zentralanlaufstelle für Asylbewerber in Rostock-Lichtenhagen 1992: Brennendes Auto im Hintergrund, steinwerfende Jugendliche und Anti-Gewalt-Demonstrantin.
© Deutsche Fotothek / Langer, Martin

In vielerlei Hinsicht war die Staatsgewalt der Nachwendezeit den Gewaltausbrüchen der „Baseballschlägerjahre“ nicht gewappnet.

In häufigen Fällen waren die ehemaligen Volkspolizisten der DDR und neuen Polizisten personell unterbesetzt und hatten keinerlei Erfahrung mit derartigen Ausmaßen an fremdenfeindlich motivierter Gewalt.

So kam es dazu, dass die Polizisten sowohl angesichts von „Prügeleien“ auf der Straße als auch Anschlägen wie in Rostock-Lichtenhagen (1992) überfordert waren, laut Zeitzeugenbericht zu Selbstjustiz aufriefen oder untätig waren.

Collage: Polizisten während Anschlag auf Asylwohnheim in Quedlinburg/Sachsen-Anhalt 1991; Polizei bei Räumung einer Hausbesetzung (?) nahe des Conne Island.
© Deutsche Fotothek / Langer, Martin
© Conne Island

Sogar die Stadtteile Leipzigs blieben von der politischen Spaltung nicht unberührt. Connewitz galt hier als „Rückzugsort“ für die linke Szene, oft für Punks, Goths und ähnliche Subkulturen, die sich der Verbreitung von rechtsextremer Ideologie widersetzten.

Viele der übrigen Viertel, namentlich Reudnitz und vor allem Grünau entwickelten sich zu Gebieten der Rechten und Neonazis. In Grünau fand sich beispielsweise der Jugendklub Kirschberghaus an, in dem sich die Jugend der rechten Bewegung, darunter viele junge Angehörige der Jungen Nationalen — der Jugendorganisation der NPD — vernetzten.

Stadtplan Leipzigs. Farbig eingezeichnet sind Gebiete, die laut Zeitzeugen besonders von rechtem Gedankengut geprägt waren oder eine hohe Zahl an Ausschreitungen aufwiesen.